Im Oktober jährt sich die Deportation der pfälzischen Juden ins Internierungslager im südwestfranzösischen Gurs zum 70. Mal. Das Pfalztheater in Kaiserslautern hat auf Initiative des Bezirksverbands Pfalz dieses Ereignis zum Anlass genommen, sich künstlerisch mit dem Thema auseinanderzusetzen, und die Komposition einer Kammeroper in Auftrag gegeben. Die Uraufführung des Werks Gestohlenes Leben findet am Freitag, 7. Mai, auf der Werkstattbühne des Pfalztheaters statt (bereits ausverkauft). In einer Einführungssoiree stellte der leitende Musikdramaturg des Pfalztheaters, Andreas Bronkalla, den Komponisten Helmut Bieler, die Librettistin Susanne Bieler, Regisseur Uwe Drechsel, Kapellmeister Andreas Hotz und die Sänger vor.
Mich hat die Thematik persönlich berührt, gestand Helmut Bieler, den Intendant Johannes Reitmeier für die Komposition der Kammeroper gewinnen konnte. Denn sein Vater, der sich als Volksschullehrer offen gegen Hitler wandte, starb 1944, nachdem ihn die Nazis drei Wochen zuvor in den Krieg geschickt hatten. Helmut Bieler war damals gerade vier Jahre alt. Für Gestohlenes Leben habe er eine eigene Klangwelt geschaffen, erläuterte der ehemalige Professor für Musikpädagogik an der Universität Bayreuth, dessen Werke im In- und Ausland zur Aufführung gelangen. Die Grundklänge, zusammengesetzt aus verschiedenen Intervallen, werden schrittweise variiert. Zum Einsatz kämen Streicher, Bläser und Schlagwerk, das für eine besondere Spannung sorgt. Ich bin mit der Umsetzung und dem Engagement am Pfalztheater sehr zufrieden, sagte Bieler, den die Komposition neun Monate in Anspruch genommen hat, genau so lange, wie man braucht, um ein Kind auszutragen. Das Libretto habe ihm seine Tochter Susanne, als Dramaturgin am Pfalztheater tätig, scheibchenweise zugeschickt.
Die Oper spiele, führte Susanne Bieler aus, Anfang der 1960er Jahre; die Thematik werde als Retrospektive behandelt: Leopold Stein (gesungen von Daniel Böhm, Bariton) erfährt, dass seine ehemalige Geliebte Greta Lilienberg, die im Oktober 1940 mit den anderen pfälzischen Juden nach Gurs deportiert wurde, vor Jahren von den Nazis ermordet wurde. Er gibt sich eine Mitschuld daran, da er es nicht rechtzeitig geschafft hatte, mit ihr zu fliehen. Geertje Nissen verkörpert die Rolle der Stimme: Zunächst zu hören als Stimme einer Radiosprecherin wird sie zur Stimme in Leopolds Kopf, die ihn antreibt, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Sie konfrontiert ihn zudem mit originalen Dokumenten und Briefen. Leopolds Frau Johanna (Arlette Meißner, Sopran) nimmt die Gegenposition zu seiner Beschäftigung mit den Ereignissen von Gurs ein, denn sie will mit der Vergangenheit nichts mehr zu tun haben. Am Ende des Stücks kommt es zu einem Treffen mit Gretas Bruder (Steffen Schantz, Tenor), der Gurs überlebt hat und nach Amerika ausgewandert ist.
Eine Uraufführung zu inszenieren, ist immer spannend, sagte Uwe Drechsel, denn man kann keine Vergleiche anstellen. Darin sieht auch Kapellmeister Andreas Hotz eine Chance, unbelastet an den Stoff herangehen zu können. Ungewöhnlich sei die Sitzordnung des Orchesters, kündigte Hotz an: Es sitze nicht im Orchestergraben, sondern auf der Bühne, allerdings durch einen zum Teil transparenten Sichtschutz abgetrennt. Am Ende der Einführungssoiree zeigten die Sängerinnen und Sänger die zweite Szene von Gestohlenes Leben. So erhielten die Besucher einen Einblick in die beeindruckende Kammeroper, die durch die Stiftung Rheinland-Pfalz für Kultur unterstützt wird. Nach der Uraufführung ist die Oper außerdem am 14. und 28. Mai, 4. und 29. Juni sowie am 7. Juli, jeweils um 20 Uhr, auf der Werkstattbühne des Pfalztheaters Kaiserslautern zu sehen. Karten sind an der Theaterkasse oder online unter www.pfalztheater.de erhältlich. Weitere Informationen zur Gedenkarbeit des Bezirksverbands Pfalz finden sich hier.
In der Nacht vom 21. auf den 22. Oktober 1940 wurden rund 825 Pfälzerinnen und Pfälzer, darunter Kinder und Greise, in den frühen Morgenstunden aus ihren Betten gerissen, an mehreren Orten in der Pfalz zusammengetrieben und ins 1.300 Kilometer entfernte Internierungslager im südwestfranzösischen Gurs verschleppt. Zahlreiche starben dort und in anderen südfranzösischen Lagern aufgrund der katastrophalen Bedingungen, fast die Hälfte wurde in die Vernichtungslager der Nazis im Osten gebracht und ermordet. Einige überlebten den Terror, nur ganz wenige von ihnen kehrten in die Pfalz zurück.