Opferzahlen einzelne Schicksale zuordnen

Gedenksitzung des Landtags im Pfalzklinikum

Plenarsitzung des Landtags im Pfalzklinikum mit Landtagspräsident Joachim Mertes (am Mikrofon)

Als zentrale Gedenkveranstaltung des Landes Rheinland-Pfalz fand im Pfalzklinikum Klingenmünster eine Plenarsitzung des Landtags statt, an der auch das Kabinett teilnahm. 70 Jahre nach Hitlers „Euthanasie“-Erlass gedachten die Redner der Opfer des Nationalsozialismus, insbesondere der annähernd 300.000 psychisch kranken Menschen, darunter etwa 2.000 Klingenmünsterer Patienten, die während der NS-Zeit getötet wurden. Landtagspräsident Joachim Mertes hob hervor, dass der 27. Januar nicht nur „ein Ge-denk-tag“, sondern auch „ein Nach-denk-tag“ und „ein Weiter-denk-tag“ sei; es sei unsere Pflicht zu überlegen, „wie wir aufbauend auf unser Wissen und unsere Empfindungen auf der Grundlage unserer Demokratie handeln können“.

Bezirkstagsvorsitzender Theo Wieder erinnerte daran, dass auch die Heil- und Pflegeanstalt Klingenmünster zu den Orten gehörte, „an denen Menschen unendliches Leid zugefügt wurde“; Patienten seien Zwangssterilisationen ausgesetzt gewesen, durch systematischen Nahrungsentzug ermordet oder in Tötungsanstalten verlegt worden. Wichtig sei es, sich an die Geschehnisse zwischen 1933 und 1945 zu erinnern, „denn auch ohne eigene Schuld tragen wir Verantwortung dafür, dass sich dies niemals wiederholt“. [Rede des Bezirkstagsvorsitzenden Theo Wieder]

Zur Trauer- und Gedenkarbeit gehöre es, so Ministerpräsident Kurt Beck, „den Opferzahlen einzelne Schicksale zuordnen zu können“. Insofern sei eine Änderung des Archivgesetzes notwendig, um die Forschungsarbeit zu den Verbrechen der NS-Zeit zu erleichtern. Er sprach sich dafür aus, „das Erinnern noch stärker als bisher in unsere Alltagswelt zu integrieren“ und regte an, dass Schulen auf der Suche nach Zielen für Bildungsreisen Gedenkstätten künftig mehr berücksichtigen.

Georg Lilienthal, Leiter der Gedenkstätte Hadamar, erläuterte, dass über 5.000 Menschen aus dem Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz dem Krankenmord zum Opfer fielen. Den Massenmord an Kranken hätten die Nazis seit Herbst 1939 organisiert. Rund 70.000 Menschen seien in einer ersten Phase durch Kohlenmonoxydgas ermordet worden. Nachdem Bischof Graf von Galen die Morde im August 1941 öffentlich angeprangert habe, sei die Euthanasie nicht mehr zentral gesteuert gewesen. Zwischen 1942 und dem Kriegsende seien weitere 80.000 Menschen durch eine Überdosis an Beruhigungsmitteln, an Hunger und fehlender medizinischer Versorgung gestorben.

Im Anschluss an die Plenarsitzung des Landtags, die eindrucksvoll die ST-Band des Pfalzinstituts für Kinder- und Jugendpsychiatrie musikalisch gestaltete, legten die Teilnehmer der Gedenkveranstaltung an der Pfälzischen Gedenkstätte für die Opfer der NS-Psychiatrie Kränze nieder. Die Klinikseelsorger Wolfgang Roth und Michael Reis entzündeten an der Skulptur „Zwischen den Schneiden“ von Volker Krebs eine Kerze.