Kaiserslautern. Wissen Sie, wie es ist, Stimmen zu hören, aus dem Nichts heraus Todesangst zu haben, eine tiefe innere Leere zu spüren? Ärzte oder Pflege-Mitarbeiter können diese Frage nur selten bejahen. Die fehlende Erfahrung der Professionellen, eine psychische Erkrankung zu haben und zu bewältigen soll künftig durch Betroffene ausgeglichen werden. Dass hier Bedarf besteht, haben wir bereits in einem trialogischen Workshop vor zwei Jahren feststellen können, erklärt Thomas Dech. Trialog das ist Austausch auf Augenhöhe, zwischen den von Krankheit Betroffenen, ihren Angehörigen sowie professionell und ehrenamtlich Engagierten. Der Regionalleiter für gemeindepsychiatrische Angebote in der Nordwestpfalz koordiniert gemeinsam mit Stefan Lincks aus der Südpfalz das Programm für das Pfalzklinikum. Er berichtet: Betroffene, Angehörige und Verantwortliche des Landesverbands Psychiatrie-Erfahrener Rheinland-Pfalz e.V. (LVPE) haben sich zusammengesetzt und den Bedarf von psychisch kranken Menschen herausgearbeitet. Wir haben festgestellt, dass Personen benötigt werden, die vergleichbare Erfahrungen wie die Patienten gemacht haben. Ähnlich wie in anderen Ländern oder Kliniken sollen akut Erkrankte künftig zusätzlich von Experten aus Erfahrung begleitet und unterstützt werden."
Der LVPE plant mit Unterstützung des Pfalzklinikum einen Ausbildungsgang für Psychiatrie-Erfahrene im südwestpfälzischen Raum. In der sogenannten Experienced-Involvement-Ausbildung (EX-IN) werden Genesungsbegleiter in zwölf Modulen auf diese Aufgabe vorbereitet. Den Abschluss bildet eine 20- bis 30-minütige selbstgewählte Präsentation der Beteiligten. Ausbildungsstart ist im Oktober 2014. Franz-Josef Wagner, Vorsitzender des LVPE, ist von der Nachhaltigkeit dieses für Rheinland-Pfalz neuen Weges überzeugt: Durch eine solche Qualifizierungsmöglichkeit wird das schlummernde Potential ehemals psychisch kranker Menschen aktiviert. Der LVPE setzt hiermit ein wichtiges Signal: Wir sind der erste Selbsthilfeverband, der eine solche Ausbildung anbietet, mit Unterstützung des Pfalzklinikums. Wir wünschen uns, dass wir hierdurch eine andere Sichtweise auf psychisch Kranke befördern, weg von der medizinisch-pharmakologischen, hin zu einer vorrangig sozialen Perspektive.
Die Genesungsbegleiter sollen im Anschluss an den einjährigen Bildungsgang als Experten in Institutionen der psychiatrischen Betreuung und Behandlung tätig sein. Die eigene Krankheitserfahrung spielt hier eine entscheidende Rolle, um enger mit anderen Betroffenen zusammenzuarbeiten und mit einer externen Perspektive als Mittler oder Dolmetscher zwischen Betroffenen und ihren Behandlern zu agieren.
Mitglieder des LVPE können eine Förderung zur Finanzierung der Gesamtkosten in Höhe von 1800 Euro beantragen. Die Ausbildung gliedert sich in Grundlagen- und Aufbauthemen. Die Basismodule beziehen sich auf Gesundheit und Wohlbefinden (Salutogenese), Selbstbefähigung (Empowerment), Erfahrung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, Wiederherstellung der Gesundheit (Recovery) sowie Trialog. Darauf aufbauend werden Themenfelder wie Selbsterforschung, Fürsprache, Bestandsaufnahme und Zielplanung (Assessment), Beraten und Begleiten, Krisenintervention sowie Lehren und Lernen vermittelt. Die Module bestehen überwiegend aus Gruppenarbeit und Rollenspielen. So können sich die künftigen Gesundheitsbegleiter unter anderem mit konkreten Gesprächssituationen des späteren Arbeitsalltags auseinandersetzen und dazu Rückmeldungen der Gruppe und der Dozenten erhalten. Wichtig für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist auch zu lernen, die eigenen Erfahrungen verständlich zu vermitteln und auf den Punkt zu bringen. Fingerspitzengefühl, eine eigenständige Arbeitsweise, aber auch Kommunikation auf Augenhöhe sind hierbei gefragt.
EX-IN ist für Psychiatrie-Erfahrene oder für Menschen gedacht, die Erfahrungen mit seelischen Erschütterungen haben. Eine ärztlich festgestellte Diagnose oder ein Aufenthalt in einer psychiatrischen Einrichtung sind nicht notwendig. Wichtig ist die Bereitschaft, sich in einer Gruppe über seine Erfahrungen auszutauschen und bereits in der Selbsthilfe aktiv gewesen zu sein. Parallel zu den theoretischen Modulen oder auch im Anschluss daran werden die EX-IN-Teilnehmer Praktika absolvieren, um bereits in mögliche künftige Arbeitsfelder Einblick zu nehmen und Kontakte zu potentiellen Arbeitgebern zu knüpfen.
Am 14. Juli findet von 14 bis 16 Uhr eine erste Informationsveranstaltung zu EX-IN im Multifunktionsraum des Pfalzklinikums Kaiserslautern, Albert-Schweitzer-Str. 64, statt. Nicht nur an der Ausbildung interessierte Psychiatrie-Erfahrene, sondern auch Vertreter von Institutionen und Einrichtungen sind herzlich eingeladen.
EX-IN ist ein europäisches Pilotprojekt, das aus dem Programm Leonardo da Vinci gefördert wurde und an dem sechs Länder beteiligt waren: Norwegen, Schweden, England, Slowenien, Holland und Deutschland. Kooperationen und Erfahrungswerte von psychiatrischen Diensten aus anderen Ländern fließen auch in die Ausbildung in der Pfalz ein.
Kontakt:
LVPE
Franz Joseph Wagner, Vorsitzender des Landesverbands Psychiatrie-Erfahrener
Tel.: 0651 1707965E-Mail: f.j.wagner@gmx.net
Pfalzklinikum
Thomas Dech, Regionalleiter gemeindepsychiatrische Angebote Nordwestpfalz
Tel.: 015209244578
E-Mail: thomas.dech@pfalzklinikum.de
Stefan Lincks, Pflegerischer Fachbereichsleiter Allgemeinpsychiatrie (Südpfalz)
Tel.: 06349 900-2165
E-Mail: stefan.lincks@pfalzklinikum.de