Kaiserslautern. Viel Anerkennung, Ermutigung und Unterstützung bekamen Raimund Albert und Stefanie Bode am 17. August. Etwa 50 Interessierte waren ihrer Einladung zur öffentlichen Vorstellung des Projekts "Weglaufhaus Pfalz" gefolgt. Auch Zweifel, Sorgen und Bedenken waren zu hören.
Kontroverse Diskussionen hatten die Gründungsphase der Initiative begleitet, und so war es eine gute Idee, den Samstagnachmittag im Café Augenblick zu beginnen, im Eingangsbereich der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Pfalzklinikums. Mit leckerem Kuchen und herzhaften Snacks sorgten vier freundliche ZOAR-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür, dass sich die Teilnehmer erst einmal stärken konnten. Bei Gesprächen über die Theke hinweg erfuhren die Gäste von der Zufriedenheit, die die Gastronomie-Beschäftigten hier an ihrem Arbeitsplatz finden, in einem Team aus Menschen mit und ohne gesundheitliche(n) Probleme(n).
Im lichten Mehrzweckraum konnten sich die Gäste dann bestens auf heiße Debatten einstimmen. Eine Stunde lang boten Harfen- und Gitarrenklänge die Möglichkeit, "erst einmal runterzukommen" und das überraschend weit gefächerte Repertoire aus keltischer Musik, schottischen Traditionals und Eigenkompositionen zwischen Romantik und Jazz auf sich wirken zu lassen. Die junge Harfenistin Jessyca Flemming bedankte sich mit diesem Konzert für die Unterstützung, die sie auch von Raimund Albert bekommen hatte, als sie über die Internetplattform www.visionbakery.com Geld für ihre neue Konzertharfe sammelte. Begleitet von Stefan Schmidt, ebenfalls von der Musikhochschule Weimar, nahm sie die Gäste mit auf eine Reise durch viele Länder. Die "Mitreisenden" konnten sich auf ihrer Phantasietour auch von pastellfarbenen Kreativarbeiten aus der Kunsttherapie der Klinik inspirieren lassen. Lichtdurchlässige Fahnen, die Patienten in der Arbeit mit der Künstlerin Eva-Rosanna Forbert gestaltet hatten, reichten von der Decke bis zum Boden und bewegten sich leise im Luftstrom.
Nach dem Applaus für die sympathischen Musiker und einer Kaffeepause machten sich die beiden Protagonisten der Gemeinnützigen Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) Weglaufhaus Pfalz daran, den Zuhörern ihr Vorhaben mit Hilfe von Powerpoint-Folien zu skizzieren. Dabei nahm das geplante Haus, von dem noch niemand weiß, wann und wo genau es eröffnet wird, in der Vorstellung der Zuhörer Gestalt an: In der Stadt Kaiserslautern soll es entstehen, von einem Garten umgeben und gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sein. Acht Plätze soll es haben, rund um die Uhr geöffnet sein. Hilfesuchende sollen unter den acht bis zehn Mitarbeitern den für sie passenden Ansprechpartner finden und dabei verschiedene Kompetenzen nutzen können: von Frauen und Männern, von Menschen mit fachlicher Ausbildung und Experten aus Erfahrung, von echten Pfälzern und Zugezogenen…
Schon während der Präsentation entzündete sich ein lebhafter Frage-Antwort-Meinungsaustausch, so dass die Stuhlreihen bald in einen großen Kreis aufgelöst wurden. Der freie Journalist Ortwin Spies aus der Nordpfalz stellte sich schnell auf die veränderte Raumatmosphäre ein und leitete die geplante Podiumsdiskussion souverän in eine Gesprächsrunde über, an der sich viele aus der Runde beteiligten.
Ein Mann mittleren Alters, mit zig Psychiatrie-Aufenthalten und in der Selbsthilfe aktiv, begrüßte die geplante Alternative ausdrücklich als eine von verschiedenen Möglichkeiten. Er kenne eine Reihe von Betroffenen, die nicht (mehr) in eine Klinik gehen möchten, auch weil bestimmte Diagnosen, zum Beispiel Schizophrenie, immer noch stark stigmatisierend wirkten. Hier könne ein Weglaufhaus niederschwelliger helfen, weil nicht medizinische Diagnosen, sondern das aktuelle Problem des Betroffenen und sein Unterstützungswunsch im Mittelpunkt stehen sollten.
Dies könne sie sehr gut nachvollziehen, bestätigte die Pflegedienstleiterin der Klinik, Brigitte Anderl-Doliwa, die allerdings in ihrer über 30-jährigen Erfahrung im psychiatrischen System auch viele Menschen kennen gelernt habe, für die eine Diagnose Entlastung bedeutete: Endlich weiß ich, dass ich kein schlechter Mensch bin, sondern eine Krankheit habe. Und diese Krankheit kann man behandeln.
Das war ein Stichwort für Pfalzklinikum-Geschäftsführer Paul Bomke, der von "Verhandeln statt Behandeln" sprach. Die Entwicklung dieser Haltung gehöre zur strategischen Ausrichtung des Hauses. Im Trialog zwischen Betroffenen, ihren Angehörigen und professionellen sowie ehrenamtlichen Helfern würden die bestehenden Konzepte weiter entwickelt, so zum Beispiel in Richtung Soteria und Recovery, wobei das Genesungspotential der Betroffenen hervorgehoben und unterstützt werde. Das schließe auch eine breite Diskussion zum Umgang mit Zwang und Gewalt ein. Als "Dienstleister für seelische Gesundheit" wollten die Mitarbeiter des Pfalzklinikums mit den Betroffenen passende Wege aus einer Krisensituation suchen.
Passende Wege – dafür braucht auch das Weglaufhaus Pfalz die erforderlichen Finanzen, und die stehen momentan noch in den Sternen. Rund 20.000 Euro wurden bisher gespendet, jeweils 5.000 Euro kamen von der Stadt und vom Landkreis Kaiserslautern. Nicht etwa deshalb, weil die klammen Kommunen diese Beträge aus ihren knappen Haushaltskassen entnommen hätten, wie der städtische Psychiatrie-Koordinator Gerhard Heinelt klarstellte. Die fünf Tausender stammten aus Geldern des Landes, die Rheinland-Pfalz den Kommunen für die Unterstützung einer gemeindenahen Psychiatrie zur Verfügung stelle: 50 Cent pro Einwohner und Jahr. Stadt und Landkreis hätten ihre Spende, "fachlich fundiert geprüft aus voller Überzeugung gern gegeben". 50.000 Euro mindestens braucht es für eine Basisfinanzierung, und da sind Raimund Albert und Stefanie Bode weiter auf Spenden angewiesen. Noch bis zum 8. September läuft ihre Internet-Geldsammelaktion auf "visionbakery" und sie hoffen noch auf viele kleine Beiträge, denn größeren Summen – wie auch von der VR-Bank Kaiserslautern mit 1.000 Euro – seien überraschender Weise schon einige eingegangen. 28 finanzielle Unterstützer hatten sich bis zum 17. August beteiligt, gänzlich ohne Risiko übrigens: Denn wenn die Zielsumme bis 8. September nicht erreicht werde, erhielten alle Spender ihr Geld zurück. Sie könnten es dann gegebenenfalls auf das "normale" Spendenkonto überweisen. Ungeklärt ist auch noch die Regelfinanzierung für den laufenden Betrieb. Hier sei man weiterhin auf der Suche und hoffe auch auf gute Ideen von Partnern und Mitstreitern.
Eine davon ist Nadja Bier, Leiterin der ZOAR-Wohnanlage am Volkspark. Sie sieht das Weglaufhaus nicht als Alternative zu Heimen, wie kürzlich missverständlich in einem Zeitungsartikel zu lesen war. Das geplante Weglaufhaus wolle Menschen ja nur einige Tage bis maximal sechs Monate aufnehmen. In einem Heim dagegen wohne man meist länger, auf der Basis eines Mietvertrages, den die Bewohner selbstverständlich kündigen könnten, wenn sie umziehen möchten, betonte sie.
Ein weiterer Unterstützer, Stefan Hammel, Evangelischer Klinikseelsorger, systemischer Berater und Therapeut, Hypnotherapeut und Coach, fragte in die Runde: "Wer hat denn nun eigentlich etwas gegen das Weglaufhaus?" Sie kennten keinen, zeigten sich alle Anwesenden überzeugt. Allerdings: "Wir waren schon irritiert und haben uns abgewertet gefühlt, als wir in der Zeitung krasse antipsychiatrische Positionen lesen mussten", sprach Brigitte Reichle aus der Lauterer Klinik auch für einige ihrer Kolleginnen und Kollegen. Brigitte Anderl-Doliwa zeigte volles Verständnis dafür, "denn in der Psychiatrie insgesamt und ganz konkret auch im Pfalzklinikum habe sich vieles zum Positiven verändert. Paul Bomke war es wichtig, allen Mitarbeitern seine große Wertschätzung auszusprechen, die – jeder an seinem Platz – an dem gemeinsamen Ziel "Psychiatrie ohne Zwang" mitarbeiten. Zwangsmedikation und zwangsweise Unterbringung müssten immer die allerletzte Möglichkeit sein und zu 100 Prozent auf rechtsstaatlicher Grundlage erfolgen. Dies sieht auch Oberarzt Dr. Georg Altmeyer so, der es "selbstverständlich positiv" findet, wenn es vielfältige Angebote für Menschen mit Problemen gibt. "Ich habe gedacht: sehr mutig, als ich zum ersten Mal vom Projekt Weglaufhaus hörte."
Vieles ist unklar, aber das müsse man aushalten, wenn man etwas Neues aufbauen will, meinten Stefanie Bode und Raimund Albert zum Abschluss: Wir sitzen zwischen allen Stühlen. Sogar der Name "Weglaufhaus" stehe eventuell zur Disposition, da die Berliner Weglaufhaus-Initiative auf den Namen Markenschutz habe eintragen lassen. Jeder mit einer gute Idee sei willkommen. "Wege-Haus" schlug eine Therapeutin spontan vor. Sie lud Bode und Albert in den Lauterer Qualitätszirkel der niedergelassenen Psychologischen Psychotherapeuten ein. Eine Einladung sprach auch eine Vertreterin der Angehörigengruppe Kaiserslautern aus. Bereits terminiert sind ein Gedankenaustausch mit dem Sozialausschuss der Stadt im September und mit dem Psychiatriebeirat im November. Und auch ein Ehepaar aus der Nordpfalz will mit der Initiative in Kontakt bleiben. Die beiden Sechziger waren im Internet auf der Suche nach bürgerschaftlichem Engagement auf das "Weglaufhaus Pfalz" gestoßen. "Das ist ja ganz bei uns in der Nähe", sagten sie sich und fuhren bei schönstem Sommerwetter nach Kaiserslautern zur Infoveranstaltung. Sie waren die Letzten, die sich im Café Augenblick herzlich von den Veranstaltern verabschiedeten.
"Das macht uns Mut für die nächsten Schritte", zogen Raimund Albert und Stefanie Bode ein positives Fazit der Veranstaltung. "Auch, weil wir so viel Unterstützung erfahren, und dafür sind wir allen, die sich mit Ideen, organisatorischer Hilfe, Sachleistungen oder auch finanziell beteiligen, sehr dankbar."
Info:
Weglaufhaus Pfalz, gemeinnützige UG (haftungsbeschränkt)
Tel: 0631 – 6270100
raimundalbert@weglaufhaus-pfalz.de
stefaniebode@weglaufhaus-pfalz.de
www.weglaufhaus-pfalz.de
https://www.visionbakery.com/weglaufhaus-pfalz
Konto: 13 66 700
BLZ: 540 900 00
Volksbank Kaiserslautern Nordwestpfalz eG
Laut Freistellungsbescheid durch das Finanzamt KL berechtigt, Spendenquittungen laut § 50 EStDV auszustellen.